Mystik

 

von Joel S. Goldsmith

 

Der Begriff Mystik umfasst jede Lehre, Philosophie oder Religion, die das Einssein mit Gott beinhaltet. Es geht um das bewusste Einssein mit Gott, die Fähigkeit Mitteilungen oder Führung direkt von Gott zu erhalten. Mystik bedeutet die Fähigkeit, mit Gott Gemeinschaft zu halten, bewusst eins zu sein mit Gott, und als einzelner direkt von Gott Gutes zu erhalten. Wir können also sagen, dass Mystik jede Lehre ist, die das Einssein mit Gott hervorhebt, und diese unsere Lehre hebt das Einssein mit Gott vor allen anderen Dingen besonders hervor – das bewusste Einssein mit Gott.

 

Ich möchte mit einem großen Geheimnis beginnen. Es steht in meinen Schriften, wurde aber von den Lesern nicht besonders ernst genommen. Es wurde, außer in wenigen Fällen, wohl nicht als die höchste Weisheit der Welt erkannt. Das liegt daran, dass statt mystischer Sprache normales Englisch verwendet wurde und dass die Leute nicht gewöhnt sind, Aussagen zu analysieren.

 

Ich gebe euch nun die höchste mystische Aussage, die ich kenne. Sie gibt euch gewiss den Schlüssel zum Himmel, zur Harmonie des Geistes, des Körpers, der Gesundheit, des Wohlstandes und anderer Dinge. Diese Aussage lautet: Einheit mit Gott begründet die Einheit mit allen geistigen Wesen und Dingen. Ihr könnt euch also klar machen: „Meine Einheit mit Gott macht meine Einheit mit allen geistigen Wesen und Dingen aus.“  Und dies ist ein Schlüssel zu Wohlstand und Gesundheit. Wieso? Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Telefons. Wir können per Telefon nur über die Zentrale mit der Welt Kontakt aufnehmen. Wenn wir Kontakt mit der Zentrale haben, können wir dann überall auf der Welt anrufen, wo ein Telefon steht.

 

Hier geht es nun um eine höhere Wahrheit als ein Telefonsystem. Wenn ihr Gotteskontakt, bewusste Erkenntnis Gottes habt, dann seid ihr sofort und automatisch eins mit dem ganzen Universum geistiger Ideen. Was wir sehen, hören, berühren oder riechen, ist tatsächlich nur eine beschränkte Vorstellung der göttlichen Idee. Ein Auto zum Beispiel ist nichts als ein kleines Transportgerät. Wenn ihr eins besitzt, nutzt es sich ab, wird alt und verfällt. Man muss ein neues kaufen, um das alte zu ersetzen. Hinter der Idee von Auto oder hinter dem Objekt steht die göttliche Idee von Fortbewegung. Fortbewegung ist eigentlich eine geistige Idee. Es ist eine Aktivität des Denkens, die sich dem individuellen Wesen als eine Idee darstellt.

 

Wenn ihr erst Kontakt mit Gott, oder dem göttlichen Geist aufgenommen habt, habt ihr Verbindung mit dem Gesetz, dem geistigen Gesetz von Fortbewegung. Wenn ihr also wirklich ein Auto braucht, werdet ihr erstaunt sein, wie schnell ihr eins bekommt – oder einen Platz im Flugzeug, ein Schiffsticket, einen Pass oder was auch immer mit dieser Fortbewegung zu tun hat. Dies wäre euch sofort verfügbar, weil ihr mit der Quelle eins seid, der unendlichen Quelle alles Guten.

 

Wir sollten aber nicht versuchen, ein Auto in unser Leben zu bringen. Es geht um Folgendes: Wenn wir zum Beispiel in San Francisco sind und in Los Angeles wohnen, müssen wir diese Strecke zurücklegen, um nach Hause zu kommen, und brauchen also ein Fortbewegungsmittel. So stellt sich das Problem für mich dar und ich habe vielleicht keine Lösung zur Hand. Ich setze mich also hin und erkenne mein Einssein mit Gott. Ich mache es mir auf möglichst viele Weisen klar. Ich kann an die Welle denken, die eins ist mit dem Ozean, oder an den Sonnenstrahl, der eins ist mit der Sonne. Ich kann an das Selbst denken und an Mutter- und Vaterschaft, die eins sind mit Gott.

 

Ich beziehe mich selbst in jeder möglichen Weise auf Gott, bis ich schließlich zur Erkenntnis gelange, dass „alles mir gehört, was der Vater hat, weil wir eins sind“. Ich erkenne, dass es keine Trennung gibt zwischen Gott und dem Menschen – Gott und Mensch sind eins. „Ich und der Vater sind eins. Alles, was der Vater hat, befindet sich genau dort, wo ich bin.“ Wenn ich diese Erkenntnis habe, wenn ich dieses Gefühl von Frieden bekomme, dieses innere Umschalten, dann werde ich sehr schnell feststellen, dass meine Fahrgelegenheit nach Los Angeles erscheint. Vielleicht lädt mich jemand ein, mitzufahren, oder es ist ein Zugticket. Jemand von dort lässt mich vielleicht abholen. Es kann in jeder Weise er-scheinen, ich müsste aber nie selbst über die Fahrt nachdenken, nur über mein Einssein mit Gott und über die unmittelbare Verfügbarkeit Gottes in jeder Form. Genauso ist es, wenn jemand Wahrheit sucht. Jeder, der sich diesem Weg zuwendet, sucht Wahrheit. So ein Mensch sucht die höchste Entfaltung, die für seinen Bewusstseinszustand existiert und seinem besonderen Bedarf entspricht.

 

Es gibt hier eine Bibliothek mit Tausenden von Büchern. Man könnte jedes lesen außer einem und das nicht finden, was man braucht. Das ganze Lesen wäre also nutzlos, denn es wäre einfacher, in die Mitte des eigenen Seins zu gehen und dort zu erkennen, dass Gott und Wahrheit gleichbedeutend ist und dass wir durch unser Einssein mit Gott eins sind mit der Wahrheit und uns die ganze Wahrheit des Universums zur Verfügung steht. Nicht morgen, sondern jetzt und genau hier, wo wir sind. Es gibt keine Zeit und keinen Ort, wo wir von der Wahrheit getrennt sein könnten, von keiner Wahrheit im ganzen Universum, denn wir können nicht von Gott getrennt werden.

 

Wenn wir tagein tagaus diesen Gedanken nach-gingen, würden wir schließlich zu dem einen Buch geführt, das uns die Schleusentore öffnet. Von da an gelangten wir zu neuen Büchern und Lehrern, aber nur zu solchen, die mit unserem Bewusstsein übereinstimmen, zu solchen, die unserem besonderen Bedürfnis entsprechen. Versteht ihr, was ich meine? Man muss nicht jedes Buch der Welt lesen, um die notwendige Wahrheit zu finden. Wir können zu genau den Autoren, Lehrern und Schriften geführt werden, die unserer speziellen Ausrichtung der Wahrheit entsprechen.

 

Dasselbe kann geschehen, wenn wir ein Zuhause brauchen (oder gerne besäßen oder dazu bereit sind), oder wenn wir an einen anderen Ort ziehen möchten. Auch hier verwenden wir die Wahrheit nicht dazu, ein Haus oder eine Wohnung sichtbar zu machen. Wenn diese Wahrheit uns aber nicht die Fülle der Harmonie brächte, wäre es nicht die Wahrheit, denn Christus sagt: „Ich bin gekommen, damit ihr das Leben habt und damit ihr es in Fülle habt.“ Und natürlich gehören ein Zuhause und Freundschaft und Ähnliches zu unserer Erfüllung.

 

Wenn wir dies nun wissen und wir merken, dass unsere Wünsche in diese Richtung weisen, wollen wir das Zuhause und das Haus und den ganzen Rest vergessen. Wenden wir uns dann nach innen und erkennen wir Gott. Machen wir uns klar, dass das einzige vorhandene Zuhause in unserem Bewusstsein ist, dass wir leben, uns bewegen und unser Sein in Gott haben – in wahrem Bewusstsein. Wahres Bewusstsein ist allgegenwärtig als unser eigenes Sein. Wenn wir die wahre Natur des geistigen Zuhause erfassen, einschließlich all seiner Eigen-schaften wie Schutz, Liebe, Freude, Schönheit, Zusammenarbeit, Sicherheit, dann merken wir bald, dass unser Zuhause erscheint. Denn es kommt durch unser bewusstes Einssein mit Gott zum Vorschein, nicht dadurch, dass wir hinausgehen und Dinge vorweisen wollen.

 

Denkt immer daran, dass die Grundlage unserer Arbeit lautet: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes.“ Die genannte Erkenntnis ist eine der Arten, zuerst das Reich Gottes zu erstreben, denn wenn wir unser bewusstes Einssein mit Gott aufweisen, werden uns alle Dinge hinzugegeben. Daher gilt auch, dass unser Einssein mit Gott das Einssein mit jedem geistigen Wesen begründet. Vielleicht brauchen wir jemanden für die gelungene Regelung unsere Angelegenheiten, sei es der richtige Makler, der richtige Bankangestellte oder der richtige meta-physische Lehrer. Vielleicht brauchen wir den richtigen Finanzberater oder sonst irgendeine Person – wo auch immer. Wir könnten mit der richtigen Person Kontakt aufnehmen, nicht dadurch, dass wir es möchten, sondern dass wir bewusst unsere Einheit mit Gott erkennen.

 

Heute Morgen ist mir etwas Wunderbares passiert und ich hätte euch gerne dabeigehabt. Diese Botschaft ergoss sich gerade in mein Bewusstsein. Es floss und floss und floss einfach nur, und ich fragte mich immer: „Wieso sind sie noch nicht hier?“ Manchmal wünsche ich mir, dass ich wie einer der Swamis in Indien wäre, die ihre Schüler drei Jahre lang bei sich leben haben. Wenn sie dann um drei Uhr morgens zum Lehren aufgelegt sind, lassen sie die Schüler wecken und zusammenrufen. Man trifft sich, der Swami spricht vielleicht zwei Stunden und anschließend gehen sie wieder schlafen. Wenn der Swami um sieben Uhr findet, er sei wieder bereit zu lehren, kommen die Schüler wieder. Wir wissen nie zu welcher Tages oder Nachtzeit wir von der heiligen Gegenwart aufgefordert werden die göttlichen Perlen der Weisheit zu hören, die von Gott ausfließen.

 

Einige davon hättet ihr heute Morgen gehört, denn ich war ganz Feuer und Flamme. Mittendrin kam mir: „So wie ich bewusst eins bin mit Gott, muss ich bewusst eins sein mit dem individuellen Bewusstsein von jedem hier. Gewiss muss auch jeder davon dieselbe Botschaft empfangen, die ich empfange.“ Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn heute Abend jemand gesagt hätte: „Ja, ich weiß viel darüber. Ich habe es morgens schon irgendwann gehört.“ Das ist die Idee, die mir jemand zu sagen schien. Schließlich werden wir hier auf dem mystischen Pfad lernen, dass es gar nicht nötig ist, so viel zu sprechen, wie wir es noch tun. Wir werden die für uns nötigen Botschaften und Mitteilungen mit viel weniger Gespräch empfangen, und damit kommen wir zu einer Frage des heutigen Morgens.

In unserer menschlichen Erfahrung machen wir dauernd menschliche Kontakte, von denen wir abhängen, um dies oder jenes zu uns zu bringen. Wir hängen stark von Weiterempfehlungen oder von Wiederholungen oder Ähnlichem ab. Bei dieser mystischen Herangehensweise ist das aber so unnötig wie nach einem Festbankett ins Restaurant zu gehen. Wenn wir die Sache als Mystiker angehen, wissen wir nämlich, dass Gott die unendliche Intelligenz des Universums ist und in uns schon eine Idee erschaffen hat, die wir auf den Markt bringen können. Ob es nun eine geistige Lehre, geistige Heilung, Kühlschränke, Immobilien oder was auch immer ist, wir machen uns klar, dass wir selbst nicht der Schöpfer dieser Dinge sind, selbst wenn wir eine Maschine erfunden hätten, die dies vermittelt. Das ist egal, es war in Wirklichkeit das Wirken des göttlichen Verstandes, der universellen Intelligenz, das alles getan hat.

 

Es fand statt als Gedankentätigkeit, und es fand auch im universellen Denken statt. Ist das universelle Denken aber nicht dasselbe wie euer Denken und mein Denken, euer Verstand und mein Verstand? Zur selben Zeit fand es daher automatisch im Denken von jedem von uns statt. Wir müssen es also nicht bewerben und anpreisen. Sobald der göttliche Geist eine Idee in das eingepflanzt hat, was ich „indivi-duelles Sein“ nenne, – und hier ist es zum Beispiel eine Idee dieser Wahrheitsentfaltung – in dem Moment wissen wir, dass es automatisch in unser aller Bewusstsein eingepflanzt ist. Daher seid ihr hier und empfangt diese Idee. Ihr seid einfach nicht geübt genug, sie aus eurem Bewusstsein hervorzubringen, daher kommt ihr, damit sie euch enthüllt wird.

 

Ihr müsst jedenfalls wissen, dass ich nichts erzähle, was nicht schon Teil eures Bewusstseins ist. Sonst könntet ihr es nicht verstehen. Sonst könnte ich hier auch Sanskrit sprechen – ihr würdet es dann nicht verstehen. Und das ist so, weil Sanskrit bislang nicht als bewusste Aktivität eurer Erfahrung benötigt wird. Wenn ihr aber auf einer Bewusstseinsebene wärt, wo Sanskrit nötig wäre, würdet ihr zu jemandem geführt, der es euch lehren könnte, daran besteht kein Zweifel.

 

Niemand kann euch also je etwas geben, was nicht schon Teil eures Bewusstseins ist. Er enthüllt für euch nur, was in eurem eigenen Bewusstsein ist. Es ist also unerheblich (und hierfür können wir ein Dankgebet sprechen), dass ich nach San Francisco gekommen bin. Ihr habt die Wahrheit schon gespürt, und sie wäre diese Woche hervorgekommen, mit mir oder ohne mich. Jemand anderer hätte sie euch verkündet oder ihr hättet ein Buch mit der Wahrheit gefunden oder wenn es gar nicht anders gegangen wäre, hätte euch Gott einen Schlag auf den Kopf gegeben und gesagt: „Hallo, wach auf, ich rede mit dir!“ Ihr hättet es im Schlaf oder auf der Straße gehört. Denkt nicht, diese Wahrheit hätte etwas damit zu tun, dass zum Glück ein Lehrer nach San Francisco kommt oder dass ihr herkommt. Ich könnt glücklich sein, aber nicht dafür. Ihr hättet die Wahrheit sowieso empfangen.

 

Wenn es nicht so wäre, hätte Jesus unrecht gehabt, als er sagte: „Wenn ich nicht fortgehe, wird der Tröster nicht zu euch kommen.“ Wenn wir bei dieser Botschaft also von einer Person abhängig wären, wo wäre dann Gott? Macht euch das klar! Ich bin in San Francisco, aber in den vielen tausend anderen Städten bin ich nicht. Enthält Gott diesen Menschen etwas vor? Täuscht euch nicht. Jeder auf der Welt, der bereit ist für diese Botschaft, erhält sie in dieser Minute.

 

Das ist der Nutzen der Mystik. Euer bewusstes Einssein mit Gott macht alles in dieser Welt dann verfügbar, wenn ihr es möchtet. Niemand kann es euch vorenthalten. Und wenn ihr dem Pfad Gottes nicht folgt, werdet ihr am Ende sowieso scheitern. Vielleicht ist es also besser, gleich am Anfang zu scheitern und sich viel Enttäuschung zu sparen. Es ist aber so: Bewusste Einheit mit Gott ist Mystik. Bewusstes Einssein mit Gott macht euer Einssein mit jedem geistigen Wesen und jeder geistigen Idee aus.

 

Geld zum Beispiel ist ein menschliches Konzept, aber ein menschliches Konzept einer göttlichen Idee. Es stellt Liebe, Dankbarkeit, Freigiebigkeit und Kooperation dar. Ihr wisst, dass es als geistige Idee nicht zu euch kommen kann. Es muss eine verkörperte Idee und Aktivität eures Bewusstseins sein. Einer der Gründe, wieso uns Geld mangelt, wenn es uns mangelt, ist unsere Erwartung, dass es zu uns kommen müsste, wo es doch die ganze Zeit in unserem eigenen Bewusstsein verborgen ist. Oft ist es so, dass wir etwas aufzuweisen versuchen, das die ganze Zeit schon Teil unseres Bewusstseins ist. Es ist schon in uns, und wir suchen bei Personen, an Orten oder in anderen Dingen danach.

 

Wir kennen alle die Geschichten von der Suche nach dem Heiligen Gral, diesem goldenen Kelch, von dem Jesus bei der Kreuzigung getrunken haben soll. In jeder dieser Geschichten kehrt der Sucher schließlich nach Hause zurück, mittellos und gebrochen. Er kehrt mutlos und erschöpft in sein eigenes Haus zurück und findet dort den Heiligen Gral. Es geht jeweils um jemanden, der sein ganzes Leben und seinen Reichtum hingibt, um in der äußeren Welt zu suchen, aber erst bei seiner Rückkehr fündig wird – der Gral erscheint im eigenen Garten an einem Baumzweig hängend oder steht vor ihm auf dem Tisch. Das ist symbolisch zu verstehen. Der Heilige Gral oder was auch immer unser Schatz ist, verbirgt sich in unserem eigenen Bewusstsein. Er ist in unserem eigenen Sein versteckt dank unserer Einheit mit Gott. Wir können es uns nicht selbst zurechnen, nein, er gehört uns wegen unser Miterbenschaft mit Christus in Gott.

 

Dies ist nur eine andere Art zu sagen: „Mein Einssein mit Gott macht mein Einssein mit jedem geistigen Sein und jeder geistigen Idee oder Sache aus.“ Für mich ist dies eine der höchsten Aussagen, die ich kenne. So einfach drücke ich es in meinen Schriften aus, und nur selten sagt jemand darüber: „Ich finde, dass Sie den Heiligen Gral hier verborgen haben, die Perle von unschätzbarem Wert.“ Die Leute erkennen es nicht. Es kommt ihnen zwar wie ein recht netter Satz vor, ich meine es aber aus tiefstem Herzen so. Es ist für mich eine der bedeutendsten Aussagen, es ist ein Satz, der euch näher an die Erkenntnis des Himmels bringen wird, als jeder andere.

 

Die höchste mystische Wahrheitsaussage, die ich kenne, lautet: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Ich bezweifle, dass Jesus je etwas Mystischeres als dies gesagt hat. Als er sprach: „Ich habe die Welt überwunden“, erkannte er damit natürlich, dass „mein Reich nicht von dieser Welt ist.“ Die Aussage selbst, dass „mein Reich nicht von dieser Welt ist“, befreit uns unmittelbar von dem Wunsch nach Person, Ort, Ding, Umstand oder Bedingung. Sie befreit uns von der Welt der Auswirkungen und lässt uns in bewusster Vereinigung mit der Ursache, mit Gott, leben.

 

Auch wenn wir Millionen von äußeren Auswirkungen aufweisen könnten, hätten wir doch nur etwas, was vor uns zu Staub zerfallen kann. Wenn wir aber erst einmal die bewusste Vereinigung mit der Ursache oder mit Gott erreichen, haben wir kein Interesse mehr an den Dingen dieser Welt, außer dass wir sie genießen, wenn sie da sind. Wir sind dann noch immer in der Welt, aber nicht von ihr. Wir hätten immer und überall die Fülle, wenn wir das Bewusstsein erlangen, dass mein Reich nicht von dieser Welt ist. Wir sehen, hören, schmecken oder riechen die Dinge, aber wir werden nicht in sie verwickelt.

 

Zerbrecht euch über diese Welt nicht den Kopf – das ist der mystische Weg. Kümmert euch nicht um das Fleisch – das ist der Weg des Geistes. Sorgt euch nicht zu sehr, wie es sich darstellt – es ist sowieso nur vorübergehend. Kümmert euch um die innere Ebene des Seins!

 

Sprechen wir über diese beiden Ebenen, das Innere und das Äußere. Innen stellen wir den Kontakt her und außen sehen wir als Menschen die Früchte davon. Jemand kann natürlich auch den inneren Kontakt erleben und gibt dann die äußere Welt völlig auf und kann nichts mehr mit ihr anfangen. Viele Menschen, die sich von der Welt zurückziehen, die in Askese oder in Klöstern leben, tun dies. Auch so kann man ein wunderbares inneres Leben genießen. Für uns ist das aber wohl nicht angemessen. Ich denke, dass dies nur für die wenigen das Richtige ist, die solche inneren Höhen erreicht haben, dass sie im totalen Rückzug mehr für die Welt tun können, als wenn sie in ihr bleiben.

 

Den meisten von uns kann die innere Erfahrung aber die größten Segnungen für jene in der sogenannten äußeren Welt bringen. Wir sollten also in dieser Welt leben, bis wir wirklich den Ruf erhalten, diese Welt zu verlassen, und sollten mit den Menschen in dieser Welt alle Tiefe teilen, die in unserem inneren Leben erscheint.

 

Ich selbst genieße sehr die Dinge dieser Welt, aber hänge nicht so daran, dass ich dringend einen größeren Diamanten als den meines Nachbarn bräuchte. (Abgesehen davon sind Diamanten auch nicht mehr so angesagt, wo es jetzt schon bessere Imitate als die Originale gibt.) Ich hänge aber auch nicht an Palästen oder Yachten.

 

Auf der inneren Ebene aber, inmitten unseres eigenen Wesens, berühren wir Gott und die geistige Identität aller einzelnen. Wir haben Kontakt mit der geistigen Identität all dessen, was als Person, Ort oder Ding erscheint. Die innere Wirklichkeit zu berühren, lässt sie für uns äußerlich manifest werden, als Person, Ort oder Ding. Sie gibt uns Schüler oder Patienten oder Tätigkeiten. Sie gibt uns Bücher, die wir lesen sollen. Merkwürdigerweise kommt mit jeder neuen inneren Ahnung auch ein Buch zu mir, sei es durch Empfehlung oder Geschenk, welches mich einen Schritt weiterbringt oder diesen Punkt offenbart, den ich im Innern gefunden habe. Mit einem neuen inneren Eindruck erscheint auch im Äußeren immer ein neuer Freund oder ein Helfer oder eine neue Tätigkeit. Es ist wunderbar und kann nicht anders erklärt werden.

 

Egal, womit ihr euch beschäftigt, nehmt Kontakt auf mit Gott und vertraut darauf, dass dieser Kontakt alles zu euch bringt, was für eure Entfaltung nötig ist. Es kommt nicht unbedingt zu der Zeit, wenn ihr es erwartet. Vielleicht muss es erst aus China her-kommen; gebt ihm also seine Zeit. Oder vielleicht sind die anderen Menschen in euren Leben gerade nicht in der Lage, an der neuen Entfaltung teilzunehmen. Setzt keine Grenzen für das, was in euer Leben tritt. Findet nur das Reich Gottes in eurem eigenen Wesen. Stellt diesen Kontakt her und versteht, dass ihr nun innerlich etwas aufweisen müsst, um äußerlich etwas ausdrücken zu können. Zunächst wollt ihr es innen erleben und das Äußere kümmert sich dann um sich selbst ...

 

Wir sind nicht bloß Metaphysiker, die etwas Wahrheit gefunden haben, die wir dazu überrumpeln können, unseren Willen zu tun! Wir haben keine geheimen Mittel, um von Gott das zu erhalten, was wir anders nicht bekommen konnten. Wir gebrauchen also keine Affirmationen und Verneinungen, sondern leben in bewusster Erkenntnis Gottes und machen Gott so sehr Teil unseres bewussten Lebens, wie Jesus es tat – wenn wir denn dazu fähig sind. Jesus lebte, bewegte sich und hatte sein Sein in Gott; Gott war sein Leitmotiv. „Ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir.“ Unser äußeres Leben ist nicht mehr als nur die Erkenntnis des Gesetzes unserer inneren Erfüllung.

 

Auf diesem Weg befinden wir uns nun. Dorthin wollen wir gehen. Achten wir darauf, dass wir unsere innere Pflicht erfüllen. Als Mensch bin ich niemandem hier verpflichtet; dass wir alle aber hier sind, bedeutet für mich, dass Gott uns hergebracht hat. Ich habe also den geistigen Auftrag, euch ein klares und reines Bewusstsein zu präsentieren, das frei ist von Eigennutz, Täuschung und persönlicher Verwicklung. Gott ist der Schöpfer und Lehrer dieser Botschaft. Alle, denen sie anvertraut wird, sind für diese Welt also wie Jesus – und wie jeder geistige Lehrer. Sie müssen die Botschaft rein, vollständig und knapp verkünden. Jeder, der einmal etwas gelehrt hat, weiß, dass für einen richtigen Lehrer klares Denken und klares Leben nötig sind. Die Absicht muss aber aufrichtig sein. Jeder kann nun zwar, da dies niedergeschrieben ist, die Botschaft auswendig lernen und lehren. Ich habe aber große Zweifel, ob je ein Schüler viel davon haben wird, wenn keine geistige Integrität dahinter steht. Die Worte allein werden das Bewusstsein nicht erheben, sie können keine Idee der Wahrheit vermitteln. Die Bücher werden einfach noch mehr bedruckte Seiten in den Regalen der Welt darstellen.

 

Das Bewusstsein eines inspirierten, begeisterten, von Liebe ergriffenen einzelnen ist nötig, damit geistige Wahrheit vermittelt werden kann. Genauso ist auch eine Schülerschaft nötig, die merkt, dass es da eine Wahrheit gibt, für die sie Zeit, Geld und ihre Vergnügungen opfern; die also zu Füßen des Meisters sitzen. Der Meister ist aber kein Mensch. Es ist diese göttliche Botschaft. Die Wahrheit ist der Meister. Zu seinen Füßen zu sitzen bedeutet, das eigene Bewusstsein auszufegen. Eigeninteresse, persönliche Wünsche, alles wird auf den Altar dieser Wahrheit gelegt mit den Worten: „Alles, was ich materiell besitze, ist insgesamt nicht ein Körnchen von dieser Wahrheit wert.“ […]

 

Dieser Weg ist nur für die, deren Herz und Seele und Verstand bei Gott ist. Wenn ihr noch die Vorstellung habt, dass dies für persönlichen Erfolg, für Glück oder Wohlstand gebraucht werden kann, versucht es nicht, denn ihr werdet nicht weit kommen. Es gibt gute metaphysische Systeme, die dazu verwendet werden können, persönliches Glück und persönlichen Erfolg zu erhalten. Dieser Weg leistet dies aber nicht. Er kann nur Unsterblichkeit und Ewigkeit und jenes Gute bringen, das Gott kennt. Das liegt dann aber auf ganz anderer Ebene als das menschlich Gute, genauso wie geistige Freiheit nichts mit menschlicher Freiheit zu tun hat.

 

Geistige Freiheit, der Friede, der alles Verstehen übersteigt, hängt von nichts im Äußeren ab, sondern von eurer Beziehung mit dem Christus, mit Gott. Wenn dies wirklich und konkret wird und in euch entflammt, so dass das Leben alles in allem wird, dann werdet ihr euch in zwei Welten lebend wiederfinden. Die innere Welt ist die hauptsächliche und die äußere Welt ist ein netter Zeitvertreib, den man aber nicht zu ernst verfolgen sollte und der nicht zu viel Zeit und Anstrengung erfordern sollte, denn uns drängt es so sehr danach, zur Mitte zurück-zukehren. [...]

 

Das ist der mystische Lebensweg, sich nicht zu sehr mit dem Buchstaben der Wahrheit zu beschäftigen, denn er „tötet“, wie uns gesagt wird. Diese Bücher bedeuten mir nicht so viel wie die Menschen, die sie lesen. Können sie darin so viel von Christus finden, dass sie das Verlangen haben, danach zu leben und den Gedanken Gottes in das menschliche Leben zu tragen?

 

In der Bibel heißt es, dass zehn Gerechte eine Stadt retten können. Dahinter steht wohl ein geistiges Gesetz. Es besteht die Möglichkeit, dass wir mit ein paar Dutzend Gerechten – also gottesbewussten und gottbegeisterten Menschen – vielleicht die Stadt oder das Land oder die Welt retten können. Es kann gut sein, dass das gerechte Denken [Bewusstsein] einiger weniger auf der inneren Ebene das Bewusstsein der Welt berühren und erreichen kann.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus den „Metaphysical Notes“ von Joel S. Goldsmith, die auf Vorträgen von 1948 in San Francisco basieren. Sie sind 1997 unter dem Buchtitel Consciousness in Transitionbei „Acropolis Books“ erschienen.